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Ivan Fučík | May 2, 2018
Die Verfassung der Tschechischen Republik verankert in einem ihrer Leitartikel1 das Prinzip der Gewaltenteilung als Hauptprinzip eines demokratischen Rechtsstaates. Es stellt drei Pfeiler der Macht dar, die voneinander getrennt sind und die durch das System „der Beschränkungen und Gleichgewichte“ kontrolliert werden.
Gerechtigkeit und Recht können in ihrer vollkommenen Form nur unter idealen Bedingungen bestehen. Sie stellen jedoch eine gewisse Modellsituation dar, und in der Praxis passt sich die Form der Rechtsprinzipien an sämtliche Bewegungen, die Prozesse, Ereignisse und den Betrieb der Gesellschaft an. Wir sind alle verpflichtet (egal ob wir ein gewöhnlicher Bürger, ein Steuersubjekt oder ein Bestandteil eines öffentlichen Exekutivorgans sind), ihre Natur zu schützen und durch unser vorsätzliches Handeln nicht zu ihrer Verletzung beizutragen. Die Gewaltentrennung besteht nicht in der gegenseitigen Missachtung zwischen den einzelnen Organen der Staatsgewalt, sondern in ihrem gegenseitigen Respekt. Die Gewaltentrennung bedeutet nicht einen Abstand oder eine vollständige Isolierung, aber dass sie zusammenarbeiten und in gleichem Boot sitzen; ohne die Zusammenarbeit von allen Organen der Staatsgewalt und ohne ihren gegenseitigen Respekt sind die Prinzipien der Demokratie nicht erfüllt.
Die Judikative stellt in der Tschechischen Republik den einzigen Bestandteil der Staatsgewalt dar, der die Berechtigung zusteht, das Recht verbindlich zu interpretieren. Die Verbindlichkeit der Urteilssprüche der Verwaltungsgerichte und ihre anschließende Beachtung ist Bestandteil der Gerechtigkeit und der Garantie des Rechts auf die gerechte und gleiche Behandlung von allen Steuersubjekten. Dieses Recht als Bestandteil der Voraussehbarkeit des Rechts garantiert, dass alle identischen Fälle in der Tat aufgrund derselben Prinzipien beurteilt werden und dass es in ihrem Schluss nicht zu einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung und zu einer damit zusammenhängenden ungleichen Sanktion kommt. Ich betone das Wort „Verbindlichkeit“, inwieweit es gerade für die Entscheidungen der Steuerverwaltungsorgane als Bestandteil der ausübenden Macht maßgeblich ist. Die Nichtbeachtung der rechtlichen Kraft, über die die Gerichtsentscheidungen verfügen, untergräbt nicht nur die reinen Grundlagen des Rechtsstaates und der Demokratie, sondern sie verletzt auch das Wirtschaftlichkeitsprinzip wegen der Entstehung der überflüssigen gerichtlichen Streitigkeiten. Das unterschiedliche Herangehen bei Lösung von steuerlichen Rechtssachen seitens der Finanzorgane beim Vergleich mit der Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts zwingt die Steuersubjekte, immer neue gerichtliche Streitigkeiten einzuleiten, was mit der Kostensteigerung auf beiden Seiten direkt proportional zusammenhängt.
In der Praxis gibt es einige konkrete Fälle der Nichtbeachtung von Gerichtsentscheidungen seitens eines Organs der Finanzverwaltung.
Die Generalfinanzdirektion entschied, eine ablehnende Stellungnahme z.B. in der Sache der Zinszahlung für die Dauer der Verzögerung der Rückzahlung der MwSt. abzugeben. Die Verzögerung der MwSt.-Rückzahlung wegen ihrer Prüfung stellt nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofes einen unangemessenen Eingriff in das Eigentumsrecht des Steuerzahlers dar, und deshalb hat er Anspruch auf einen Finanzausgleich in Form der Zinsen. Zu demselben Schluss kam auch das Oberste Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung AktZ. 7 Aps 3/2013-34 in der Sache KORDÁRNA.
Die Finanzverwaltung bewertete sie jedoch willkürlich als eine Rechtsansicht, die nicht allgemein verbindlich ist, und sie betrachtete sie nicht als Wiedergabe der festen Rechtsprechung. Ohne die anschließende Erläuterung und die entsprechende Argumentation berücksichtigte sie nicht die allgemeine Schlussfolgerung des Gerichtsurteils bei Lösung von weiteren Fällen, die mit der Verzögerung der MwSt.-Rückzahlung zusammenhängen. Ich möchte behaupten, dass die Finanzverwaltung die Tatsache vergaß, dass es nicht von der Quantität und der Existenz von weiteren Urteilen mit einer ähnlichen rechtlichen Ansicht, sondern von der reinen Existenz des Gerichtsurteils und von der Qualität seiner Begründung abhängt. Als Bestandteil der Exekutive ist sie verpflichtet, dies zu beachten und sich danach zu richten. Seitdem erfolgten noch viele gerichtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dieser Problematik, bevor die Finanzverwaltung den Schlussfolgerungen der Verwaltungsjustiz folgte und sich entschied, bei der Lösung von ähnlichen steuerlichen Streiten entsprechend vorzugehen.
Die Finanzverwaltung bezeichnete als einzelne Gerichtsentscheidung auch das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtes AktZ. 4 Afs 68/2015-35, das bei Lösung des Streites im Zusammenhang mit der Übersendung einer Vollmacht für den Aufschub der Steuererklärung für die Finanzbehörden maßgeblich sein sollte. Nach dieser Gerichtsentscheidung wird die am letzten Tag der Frist per Post übersandte Vollmacht für den Aufschub der Steuererklärung als rechtzeitig eingereicht betrachtet, und das Steuersubjekt ist berechtigt, die Einkommensteuererklärung im verlängerten Termin bis zum 1. Juli ohne jegliche Sanktion einzureichen. Die Steuerverwaltungsorgane bestanden bei der Entscheidung weiterhin auf der bisherigen Verwaltungspraxis, und sie berücksichtigten nur die bis zum 1. April zugleich an das Finanzamt zugestellten Vollmachten. Trotz der Gerichtsentscheidung vertraten sie Ansicht, dass „die Vollmacht innerhalb der Frist für die Einreichung der Steuererklärung beim örtlich zuständigen Finanzamt geltend gemacht werden muss“, andernfalls sei sie verspätet eingereicht. Die Situation wiederholte sich. Erst aufgrund weiterer gerichtlichen Streitigkeiten mit denselben Schlussfolgerungen entschied sich die Finanzverwaltung, diese Stellungnahme zu akzeptieren, und sie sah Vollmachten, die am letzten Tag der Frist per Post eingereicht wurden, noch als rechtzeitig eingereicht an.
Die Möglichkeit, allgemeinen Schlussfolgerungen der Gerichte als solche zu widersprechen und diese zu missachten, ist den Finanzverwaltungsorganen generell nicht untersagt. In der Praxis wird jedoch oft eine wichtige Bedingung vergessen. Zur Nichtbeachtung der Judikative reicht nicht die alleinige Behauptung über die ungenügende Qualität der Schlussfolgerung des Streites; die Äußerung des Missfallens ohne entsprechende Begründung reicht nicht aus. Das unstimmige Herantreten bei Lösung von steuerlichen Streiten muss mit der Begründung mit einer „größeren“ Argumentationsstärke wie Begründung des reinen Gerichtsurteils nachgewiesen werden. Die Beweise müssen den entsprechenden Aussagewert haben, die Argumente müssen vollständig, gründlich, auf Logik gegründet und in Übereinstimmung mit dem gültigen Rechtszustand sein. Die rein negative Stellungnahme der Finanzverwaltungsorgane lehnte auch das Oberste Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung mit folgenden Worten ab: „es ist notwendig, dass die Finanzverwaltungsorgane in ihrer Verwaltungspraxis, d.h. auch im Rahmen des weiteren Verfahrens in der aktuell behandelten Sache, gerade in Übereinstimmung mit der Schlussfolgerung, die sich aus dem erwähnten Gerichtsurteil ergibt, vorgehen. Daher ist es angebracht, dass die Steuerverwaltungsorgane die rechtliche Ansicht in dem angeführten Gerichtsurteil reflektieren und sie auch respektieren, es sei denn, dass sie gegen die darin angeführten Argumente wirklich schwerwiegende Gegenargumente vorlegen, die von dem Obersten Verwaltungsgericht bisher nicht berücksichtigt wurden.“
Die Erhebung von Steuern und die Einhaltung der Disziplin im Bereich Steuern ist nicht das einzige legitime Ziel und der einzige legitime Wert unserer Gesellschaft. In vielen Fällen handelt es sich um einen Interessengegensatz und gleichzeitig um eine Bedrohung der Grundrechte und der persönlichen Freiheiten. In diesem Sinne schwankt die Priorität, und es ist notwendig, jeden Fall in breiteren Zusammenhängen mit Rücksicht auf die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates zu lösen.
Ivan Fučík & Saňa Hanigovská