Das Oberste Verwaltungsgericht (im Folgenden „NSS“ genannt) entschied mit seinem Urteil 6 Afs 354/2023–48 eine Kassationsbeschwerde der Finanzberufungsdirektion (im Folgenden „Beklagte“ genannt) gegen das Urteil des Kreisgerichts, das der Klage einer juristischen Person - Arbeitgeber (im Folgenden „Klägerin“) stattgab, gegen die Nachbemessung der Lohnsteuer aus abhängiger Tätigkeit für die Steuerperioden 2015, 2016 und 2017, wegen fehlendem Nachweis des Anspruchs auf Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 9 Buchst. d) des Einkommensteuer-gesetzes (nachfolgend „EStG“ genannt) für Prämien, die den Arbeitnehmern in Form von gutgeschriebenen Punkten im System der Sonderleistungen - „Cafeterie“ gewährt werden.
Der Kern des Streits
Im Kern des Streits ging es um die Frage, ob eine an die geleistete Arbeit geknüpfte Leistung von der Lohnsteuer aus abhängiger Tätigkeit befreit werden kann oder ob der Naturallohn für geleistete Arbeit stets als steuerpflichtiger Lohn ohne Befreiungsmöglichkeit lt. § 6 Abs. 9 Buchst. d) EStG betrachtet wird.
Die Klägerin stellte ihren Mitarbeitern Leistungen in Form von Punkten für das Sonderleistungssystem „Cafeterie“ zur Verfügung. Der Erwerb von Punkten war von der Erfüllung vorab festgelegter Bedingungen abhängig, z.B. es war eine Leistung für eine Aktivität, für einen Qualitätspokal, eine Belohnung für den besten Mitarbeiter, das beste Team, eine Startprämie oder eine Belohnung für die Gewinnung eines neuen Mitarbeiters. Auch für Lebens- und Arbeitsjubiläen sowie für die Geburt eines Kindes schrieb die Klägerin den Mitarbeitern Punkte gut. Die gesammelten Punkte wurden anschließend von den Mitarbeitern in Form von Sachleistungen genutzt.
Nach Ansicht der Finanzberufungsdirektion gilt jedoch die Bestimmung von § 6 Abs. 9 Buchst. d) mit dem Ziel, nur solche Dienstleistungen von der Steuer zu befreien, die nicht mit der Arbeitsleistung verbunden sind und zusätzlich zum Lohn – und nicht anstelle des Lohns - erbracht werden; deshalb hat die hat Finanzberufungsdirektion (OFŘ) eine Kassationsbeschwerde eingereicht.
Argumente des Beschwerdeführers
- Der Beschwerdeführer verweist in seiner Argumentation auf die Bestimmung § 6 Abs. 9 EStG, wobei nach seiner Ansicht diese Bestimmung für typische Leistungen gilt, die den Arbeitnehmern zusätzlich zum Arbeitsentgelt (also nicht als Lohn) für die sog. Sonderleistungen an Arbeitnehmer gewährt werden. Im Gegensatz, es gilt nicht für Leistungen, die den Charakter einer nicht-monetären Form der Arbeitsvergütung (Naturallohn) haben. Die Änderung von § 6 Abs. 9 Buchst. d) EStG soll daher nur solche Leistungen von der Steuer befreien, die nicht mit der Arbeitsleistung in Zusammenhang stehen und zusätzlich zum Lohn und nicht anstelle des Lohns erbracht werden.
- Konkret vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, dass es sich bei der Leistung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erbringt, um einen steuerpflichtigen Lohn handelt, wenn dieser mit der geleisteten Arbeit verknüpft ist. Die Klägerin knüpfte die Vergütung an die Erfüllung bestimmter Arbeitsaufgaben, das Erreichen gesetzter Ziele oder an die Dauer der Arbeitsleistung: d.h. die Vergütung entsprach der Arbeitsleistung oder entstand als unmittelbare Folge der Arbeitstätigkeit (entsprach also der tatsächlich geleisteten Arbeit). Dabei ging es nicht nur um das (bloße) Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Aus diesem Grund ging es um Gewährung eines Naturallohns für die geleistete Arbeit.
- Nach Ansicht des Beschwerdeführers wird ein solches Vorgehen in der Praxis als Bemühung um eine Steueroptimierung angesehen, deren vorrangiges Ziel nicht die Steuerersparnis, sondern vor allem die Vermeidung obligatorischer Versicherungsprämienzahlungen sei. Es kann nicht akzeptiert werden, dass allein durch die Verbuchung des Naturallohns auf einen steuerfreien Konto-Typ automatisch eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung lt. § 6 Abs. 9 Buchst. d) des Einkommensteuer-gesetzes erfüllt wurde.
- Abschließend fügt der Beschwerdeführer hinzu, dass eine solche Denkweise zu einer Diskriminierung von Mitarbeitern führen würde, die aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, da diese keinen Lohn in Form von Sachleistungen erhalten können. Die Meinung des Beschwerdeführers wird auch durch Stellungnahmen der Generalfinanzdirektion bestätigt, wonach nur Sachleistungen - die für einen gesetzlich vorgesehenen Zweck aus den steuerlich nicht abzugsfähigen Kosten des Arbeitgebers gewährt werden (der Naturallohn kann jedoch als solche Leistung nicht angesehen werden) - von der Steuer befreit sind. Die allgemein akzeptierte Auslegung ist, dass es sich um Einkünfte handelt, die über dem Arbeitsentgelt liegen.
Schlussfolgerungen des NSS-Gerichts
- Das NSS schließt sich der Behauptung des Beschwerdeführers nicht an, dass eine nicht-monetäre Leistung im Sinne des § 6 Abs. 9 Buchst. d) EStG nur eine solche Leistung sein kann, die nicht an die Quantität oder Qualität der erbrachten Leistung geknüpft ist. Nach Ansicht des NSS handelt es sich hierbei um eine vom Beschwerdeführer geschaffene Bedingung, die keiner Rechtsgrundlage entbehrt. Das Gesetz über Einkommensteuern unterscheidet in § 6 Abs. 9 Buchst. d) nicht, ob eine Sachleistung Teil des Lohns ist oder nicht, bzw. ob sie nach dieser Bestimmung so anzusehen ist oder nicht.
- Die Gesetzgebung ist so konzipiert, dass sie „nur“ mit dem Begriff „Einkommen“, nicht mit „Lohn“ arbeitet. Enthält die Rechtsnorm keine konkrete Regelung, kann dieser Mangel nicht anstatt des Gesetzgebers aufgeholt oder geschaffen werden. Mit anderen Worten (mit Bezug auf den vorliegenden Fall): Wenn die Steuernorm eine bestimmte Regel oder Bedingung überhaupt nicht enthält, kann eine solche Bedingung (hier im Übrigen zu Lasten des Steuersubjekts) nicht über den Rahmen derer tatsächlichen Wortlauts geschaffen werden.
- Im vorliegenden Fall verknüpfte die Klägerin die Punktevergabe im Cafeterie-System mit einer Reihe unterschiedlicher Situationen, die sich sowohl auf das Handeln von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz als auch auf rein persönliche Ereignisse außerhalb des Arbeitsverhältnisses bezogen. Allerdings sei es laut NSS unerheblich, wie eng der Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit sei. Entscheidend war, ob es sich um Einkünfte handelte und wenn ja, ob es sich auch um steuerfreie Einkünfte handelte.
- Auch hinsichtlich der Steueroptimierung der Klägerin ist NSS mit der Auffassung des Beschwerdeführers nicht einverstanden. Das Bemühen der Steuersubjekte, ihre Steuer-(Abgaben-)Pflicht zu reduzieren, ist selbstverständlich und selbst unproblematisch. Selbstverständlich muss sich das Steuersubjekt innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen. Im vorliegenden Fall gilt hier zweifellos der Verfassungsgrundsatz, wonach jeder alles tun kann, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet, während die öffentliche Gewalt nur das tun kann, wozu das Gesetz sie ausdrücklich ermächtigt.
- Hat die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen lt. § 6 Abs. 9 Buchst. d) eingehalten, womit sich die Finanzverwaltung in den vorangegangenen Verfahren nicht befasst hat, kann der Klägerin nicht vorgeworfen werden, dass sie die Rechtsregelung zur Erbringung nicht monetären Leistungen zugunsten ihrer Mitarbeiter - also für den Zweck, dem sie dienen sollte - nutzt, und dies unter den vom Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen.
- Abschließend stellt das NSS fest, dass der Verweis des Beschwerdeführers auf die Stellungnahmen der Generalfinanzdirektion nicht relevant ist. Die Stellungnahmen der Generalfinanzdirektion können weder neue Bedingungen für Steuersubjekte über den Rahmen der gesetzlichen Regelung festlegen noch die Auslegung der Finanzbehörden bestätigen, wenn sie sich als falsch erweist. Auch der Einwand - die Befreiung der Zahlungen in das Cafeterie-System führe zu einer Diskriminierung der aus dem Staatshaushalt bezahlten Arbeitnehmer - ist nicht stichhaltig. Im Falle von Beamten ist der Staat direkt ihr Arbeitgeber und es liegt an ihm, seine Vergütungspolitik festzulegen, da er auf dem Arbeitsmarkt mit privaten Arbeitgebern konkurriert.
Zusammenfassung
Auf der Grundlage des Vorstehenden kommt die Zusammenfassung des NSS zu dem Schluss, dass die Klägerin, wenn sie sich entschieden hätte, ihre Mitarbeiter zusätzlich zum Lohn zu belohnen, hierfür auch die Geldform hätte verwenden können. Die Klägerin nutzte jedoch die zweite, gesetzlich zulässige und vorgesehene Möglichkeit der Vergütung durch Sachleistungen. Konkrete Zweifel daran, dass die Klägerin auf diese Weise nicht vorgehen konnte oder die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht erfüllte, wurden von der Finanzverwaltung nicht geäußert. Sie argumentierten lediglich unter Berufung auf den privatrechtlichen Begriff des (Natural-) Lohns für geleistete Arbeit, was jedoch (wie oben dargelegt) nicht wesentlich sei. Nur auf Grundlage dieser Argumentation konnten die Finanzbehörden der Klägerin die Befreiung von der Einkommensteuer in Form von dem Cafeterie-Sonderleistungssystem zugerechneten Punkten nicht verweigern.
Das NSS-Gericht hielt die Kassationsbeschwerde nach den vorstehenden Ausführungen nicht für begründet und wies sie daher ab.