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Marie Mandíková | March 26, 2024
Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ein Unternehmen, das gleichzeitig Arbeitgeber ist, bleiben die Arbeitsverhältnisse seiner Arbeitnehmer unverändert bestehen. In den Augen der Arbeitnehmer kann die Insolvenz des Unternehmens jedoch ein Warnsignal dafür sein, dass der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, seine Lohn- und andere finanzielle Forderungen (z.B. Erstattungen für nicht in Anspruch genommenen Urlaub, Abfindung usw.) zu erfüllen.
Die Gesetzgebung auf der EU-Ebene berücksichtigt diese Situation. Die Richtlinie 2008/94/EG[1] verpflichtet die Mitgliedstaaten, zwecks Gewährleistung des Schutzes der Arbeitnehmer im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers, Institutionen zur Sicherung ausstehender Arbeitnehmerforderungen zu errichten. In der Tschechischen Republik ist diese Verpflichtung im Gesetz Nr. 118/2000 Slg., zum Schutz der Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers und zur Änderung bestimmter Gesetze, in der jeweils gültigen Fassung (im Folgenden „Arbeitnehmerschutzgesetz“ genannt) verankert. Für den Fall, dass ein zahlungsunfähiger Arbeitgeber die fälligen Lohnansprüche des Arbeitnehmers nicht befriedigt, geht diese Verpflichtung lt. dem Arbeitnehmerschutzgesetz auf die Kreisamtsstelle des Arbeitsamtes über.
Die französische Rechtsordnung kam der Anforderung der Richtlinie 2008/94/EG nach, indem sie im Arbeitsgesetzbuch die Verpflichtung jedes privatrechtlichen Arbeitgebers festlegte, seine Arbeitnehmer zu versichern. Diese Versicherung muss das Risiko der Nichtzahlung finanzieller Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag abdecken, wenn sich der Arbeitgeber in einer Insolvenz, einer Zwangsliquidation oder einem Verfahren zur Rettung des Unternehmens befindet. Doch nach der Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofs sei die vom sog. AGS (Verein zur Verwaltung des Garantiesystems für Arbeitnehmerforderungen) gewährte Garantie ohne weiteres nicht für Ansprüche aller Arbeitnehmer. Die Garantie gilt nur für Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers, mit dem das Arbeitsverhältnis auf Initiative des Insolvenzverwalters, Liquidators oder des Arbeitgebers selbst beendet wurde. In den Fällen der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung oder einer Pensionierung des Arbeitnehmers ist die Gewährleistung daher ausgeschlossen.
Führt diese Praxis jedoch in ihrer Folge nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Mitarbeiter? Und wenn ja, ist die unterschiedliche Behandlung objektiv gerechtfertigt? Ist die Auslegung des Kassationsgerichts im Einklang mit der Richtlinie 2008/94/EG?
Der EuGH beantwortete diese Fragen im Urteil vom 22. Februar 2024[2], dabei befasste er sich mit dem Fall eines Unternehmens, gegen das im Jahr 2018 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Einige Mitarbeiter dieses Unternehmens entschieden sich zur sofortigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund der Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Diese Mitarbeiter legten später Berufung beim Gericht ein, das bestätigte, dass die dargelegten Tatsachen diese einseitige Art der Beendigung des Arbeitsvertrags rechtfertigen. Daher hatten die betroffenen Arbeitnehmer nach französischem Recht Anspruch auf eine Erstattung wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist, für nicht in Anspruch genommenen Urlaub, eine Abfindung und eine Erstattung. Nach der Rechtsprechung des Kassationsgerichts fallen diese Ansprüche jedoch nicht unter die vom AGS-Verein gewährte Garantie.
Der EuGH erinnerte daran, dass die Richtlinie 2008/94/EG nicht zwischen den Ansprüchen der Arbeitnehmer danach unterscheidet, ob ihr Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber oder von ihnen selbst (oder von einer anderen Stelle) gekündigt wurde. Die französische Regierung wendet ein, dass die unterschiedliche Behandlung im vorliegenden Fall durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Geschäftstätigkeit fortzusetzen, Arbeitsplätze zu erhalten und Forderungen schrittweise zu befriedigen, während die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens des Arbeitgebers diesen Bedürfnissen widerspricht. Dieses Argument akzeptierte der EuGH jedoch nicht. Nach Ansicht des EuGH kann die Verpflichtung der Garantieeinrichtung zur Gewährleistung der Ansprüche der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen werden, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer aufgrund einer Pflichtverletzung des Arbeitgebers gekündigt wird. Wenn die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer gerechtfertigt ist, kann sie laut EuGH nicht einmal als Folge des Willens des Arbeitnehmers angesehen werden – vielmehr handelt es sich um eine Folge der Pflichtverletzung des Arbeitgebers.
Aus den oben genannten Schlussfolgerungen des EuGH ergibt sich daher, dass die Rechtsprechung des Kassationsgerichts eine ungerechtfertigte Ungleichheit und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung feststellt. Und was bedeutet das für die EU-Mitgliedstaaten? Nationale Rechtsordnungen sind verpflichtet, die Verpflichtung zur Sicherstellung der Begleichung unbezahlter Forderungen der Arbeitnehmer durch eine Garantieeinrichtung im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers umzusetzen. Gleichzeitig müssen jedoch Gesetzgebung und Gerichtspraxis den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot respektieren und Arbeitnehmer in vergleichbaren Situationen gleich behandeln.
[1] Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2008/94/EG vom 22. Oktober 2008
zum Schutz der Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers
[2] Urteil des Gerichtshofs vom 22. Februar 2024 in der Sache C‑125/23, ECLI:EU:C:2024:163