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In der überwiegenden Zahl der Fälle wird das Insolvenzverfahren nach dem Recht des Staates des Schuldners durchgeführt, in dem auch die Gläubiger ansässig sind. In Insolvenzverfahren treten jedoch zunehmend kompliziertere Situationen auf, die einen Auslandsbezug aufweisen. Dies wird auf europäischer Ebene durch die Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (im Folgenden "EU-Insolvenzverordnung") geregelt, die unter anderem sogenannte Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren regelt.
Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren
Das Hauptinsolvenzverfahren ist ein Regelinsolvenzverfahren, das in allen Fällen durchgeführt wird. Auch wenn der Schuldner und alle Gläubiger aus demselben Land stammen und es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handelt, kann dieses de facto als Hauptinsolvenzverfahren angesehen werden. Für die Durchführung des Hauptinsolvenzverfahrens sind die Gerichte des Landes zuständig, in dem sich die hauptsächlichen Interessen des Schuldners befinden.
In einigen Fällen kann jedoch auch ein so genanntes Sekundärinsolvenzverfahren durchgeführt werden. Dieses Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger des Schuldners in anderen Mitgliedstaaten, in denen der Schuldner seine Geschäftstätigkeit ausgeübt hat, besser zu schützen oder das Vermögen des Schuldners in diesen Mitgliedstaaten besser zu verwalten.
Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat. Ein solches Sekundärinsolvenzverfahren ist auf das Vermögen in diesem Mitgliedstaat beschränkt und endet, wenn das Vermögen in diesem Staat abgewickelt ist. Der akzessorische Charakter dieser Verfahren kommt auch darin zum Ausdruck, dass die nach der Begleichung der Verbindlichkeiten in den Nebenverfahren verbleibenden Mittel anschließend in das Hauptinsolvenzverfahren überführt werden.
Das Sekundärinsolvenzverfahren unterliegt dem Recht des Staates, der das Verfahren eröffnet hat. Wurde der Schuldner im Hauptverfahren für zahlungsunfähig erklärt, wird diese Tatsache im Sekundärverfahren nicht erneut geprüft. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass jedes der Insolvenzverfahren unterschiedlich gehandhabt wird. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann entweder durch den Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens oder durch jede andere Person beantragt werden, die nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens berechtigt ist.
Der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens hat auch die Möglichkeit, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu vermeiden, wenn er den Gläubigern zusagt, dass er bei der Verteilung der betreffenden Vermögenswerte die Vorschriften des Mitgliedstaats befolgen wird, in dem das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden würde. Eine solche Zusage muss von den lokalen Gläubigern genehmigt werden.
Forderungen im Sekundärinsolvenzverfahren werden von Gläubigern getrennt angemeldet, und zwar sowohl von lokalen Gläubigern als auch beispielsweise von Gläubigern aus dem Staat, in dem das Hauptinsolvenzverfahren anhängig ist. Dies kann auch durch den Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens geschehen, der die Forderungen der Gläubiger anmeldet, die ihre Forderungen bereits im Hauptverfahren angemeldet haben.
Das Hauptinsolvenzverfahren und das Sekundärinsolvenzverfahren sind aufeinander abgestimmt und sollten nicht bestimmte Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigen. Jeder Gläubiger sollte nur dann das Recht haben, an der Verteilung des Gesamtvermögens in den anderen Verfahren teilzunehmen, wenn die Gläubiger, die sich in der gleichen Lage befinden, den gleichen Anteil an ihren Forderungen erhalten.
Die wichtigsten Interessen des Schuldners
Wie bereits erwähnt, ist der entscheidende Faktor für die Bestimmung des Hauptinsolvenzverfahrens der Ort der Hauptinteressen, das so genannte COMI („Centre of Main Interests“). Nur ein Gericht in einem solchen Staat kann für die Durchführung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständig sein. Für juristische Personen im Sinne der Verordnung gilt bis zum Beweis des Gegenteils in erster Linie die Vermutung des Sitzes der juristischen Person. Die EU-Insolvenzverordnung sieht dann ausdrücklich vor, dass der Eröffnungsbeschluss in anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt wird.
Der Standort der Hauptinteressen ist auch für die allgemeine Zuständigkeit der europäischen Gerichte von Bedeutung. Gemäß Erwägungsgrund 25 der Präambel der EU-Insolvenzverordnung kann ein Insolvenzverfahren danach nur über einen Schuldner eröffnet werden, dessen hauptsächliche Interessen sich auf das Gebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union konzentrieren
Das europäische Recht beruht auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und setzt in erster Linie voraus, dass die Gerichte in jedem Mitgliedstaat in der Lage sind, diesen Aspekt unabhängig und korrekt zu beurteilen. Die ursprüngliche EU-Insolvenzverordnung aus dem Jahre 2000, die der jetzigen vorausging, sah nicht einmal die Möglichkeit einer Überprüfung vor. Die neue EU-Insolvenzverordnung räumt diese Möglichkeit nun jedoch dem Schuldner oder einem seiner Gläubiger ein. Das Gericht, bei dem die Entscheidung angefochten werden kann, sowie die Frist für die Ausübung dieses Rechts richten sich nach dem nationalen Recht des Staates, in dem das betreffende Verfahren eingeleitet wurde. Darüber hinaus müssen diese Informationen im Insolvenzregister dieses Staates veröffentlicht werden. Andere Personen haben dieses Recht nur, wenn sie nach nationalem Recht dazu befugt sind.
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