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Veronika Odrobinová | | April 4, 2023
Art. 10 der Konvention[1] schützt die Meinungsfreiheit.
Nach den Umständen eines Falles kann die Offenlegung vertraulicher Informationen schutzwürdig sein (sog. Whistleblowing). Gleichzeitig kann das öffentliche Interesse an der Offenlegung vertraulicher Informationen auch die gesetzlich verankerte Geheimhaltungspflicht überwiegen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) äußerte sich zur Rechtfertigungsfrage der Offenlegung vertraulicher Informationen durch einen Mitarbeiter in der Entscheidung über die Angelegenheit Halet v.Luxembourg - 21884/18 (LuxLeaks Whistleblower Case). Der EGMR-Gerichtshof entschied, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers gegen sein Recht auf freie Meinungsäußerung verstoße, obwohl die die Informationen offenlegende Person ein Wirtschaftsprüfer war und somit einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterlag.
Der Beschwerdeführer war bei der luxemburgischen Gesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) beschäftigt, die Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung/Audit und Geschäftsführung/bussiness management bietet. PwC erzielte für ihre Klienten (internationale Unternehmen) insbesondere vorteilhafte Preisvorabvereinbarungen (Advance Tax rulings/ ATA). ATAs verpflichten den Steuerverwalter und ermöglichen die Vermeidung von Streitigkeiten zwischen dem Steuerverwalter und dem Steuersubjekt bezüglich der Richtigkeit der zwischen verbundenen Unternehmen vereinbarten Verrechnungspreise. Dies sollte zu einer Steueroptimierung für die Klienten der PwC führen.
Ein anderer Mitarbeiter der PwC stellte 2011 einem Journalisten Zehntausende Seiten mit geheimen Informationen zur Verfügung. Nach diesen Enthüllungen im Jahr 2012 stellte der Beschwerdeführer dem Journalisten 16 Unterlagen über den Mandanten der PwC (Steuererklärungen und Begleitschreiben) zur Verfügung. Die darin enthaltenen Informationen wurden anschließend in einer Fernsehsendung verwendet.
Dem Beschwerdeführer wurde von der PwC gekündigt. Anschließend wurde er zu einer Geldstrafe von 1 000 EUR verurteilt. Obwohl sich der Beschwerdeführer damit rechtfertigte, dass er ein Whistleblower sei und ihm der damit verbundene Schutz zustehe, haben die Gerichte dem Beschwerdeführer keinen Whistleblower-Status zuerkannt.
EGMR befasste sich mit der Frage, ob die Verurteilung des Beschwerdeführers im Einklang mit Artikel 10 der Konvention stand.
EGMR hat schon früher (Judikat Guja v. Moldova) die Kriterien festgelegt, nach denen sich ein Beschwerdeführer, der vertrauliche Informationen offenlegt, auf Schutz nach Artikel 10 der Konvention berufen kann:
Interne Kanäle (Management-Benachrichtigung) werden bevorzugt. Nur wenn dies nicht möglich oder unzweckmäßig wäre, besteht die Möglichkeit, die Informationen extern zu veröffentlichen.
Ein Whistleblower ist nicht verpflichtet, die Echtheit der Informationen sicherzustellen, er muss jedoch verantwortungsbewusst handeln und versuchen, die Richtigkeit der Informationen zu überprüfen, bevor er sie veröffentlicht.
Der Whistleblower muss die Informationen in gutem Glauben weitergeben und darf den Arbeitgeber nicht schädigen oder sich einen persönlichen Vorteil verschaffen.
Die Offenlegung von Informationen durch einen Whistleblower muss im öffentlichen Interesse liegen.
Der EGMR-Gerichtshof hat zuvor festgestellt, dass Informationen im öffentlichen Interesse unter anderem rechtswidriges Verhalten oder zwar rechtmäßiges, aber verwerfliches Verhalten sind.
Es kann auch im öffentlichen Interesse liegen, Informationen über die umstrittene Arbeitsweise öffentlicher Behörden zu veröffentlichen, was geeignet ist, ein berechtigtes öffentliches Interesse zu wecken, um sich eine Meinung darüber zu bilden, ob das öffentliche Interesse verletzt wird oder nicht.
Das öffentliche Interesse an der Offenlegung von Informationen kann so stark sein, dass es die gesetzliche Geheimhaltungspflicht überwiegt.
Eine Schädigung des Arbeitgebers ist ein Interesse, das gegen das öffentliche Interesse an der Offenlegung von Informationen abgewogen bzw. verglichen werden muss.
Sanktionen gegen Whistleblower können unterschiedliche Formen haben, seien es berufsrechtliche (Entlassung), disziplinarische oder strafrechtliche Sanktionen (Verurteilung).
Bei der Beurteilung der Adäquatheit eines Eingriffs in das Recht auf freie Meinungsäußerung sind Art und Relevanz der verhängten Strafen zu berücksichtigen. Strafrechtliche Sanktionen können mit der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung durch den Anzeiger angesichts der Folgen für die eine Anzeige tätigende Person und der abschreckenden Wirkung auf andere Personen unvereinbar sein.
Trotz des spezifischen Kontexts des Falls (die Informationen wurden bereits von einem anderen Whistleblower veröffentlicht, der Datendiebstahl durch den Beschwerdeführer trotz seiner Geheimhaltungspflicht) stellte das Gericht fest, dass der Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers (seine Verurteilung) in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war und damit gegen Art. 10 der Konvention verstoßen hat.
[1] Europäische Menschenrechtskonvention
Autor: Veronika Odrobinová, Petr Berdych