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Lenka Kočerová | | October 8, 2024

NSS-Gericht: Haftung der Mitglieder gewählter Organe für Steuerschulden einer juristischen Person

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Wir dürfen Sie über das wichtige Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts (NSS-Gericht), AZ.10 Afs 4/2024-38, vom 18. Juni 2024 informieren, das in der NSS-Urteile-Sammlung veröffentlicht wurde. Hiermit bestätigte das Gericht erstmals die Befugnis der Steuerverwaltung, die Voraussetzungen für die Entstehung einer Haftung von Mitgliedern gewählter Organe für Steuerschulden der Gesellschaft aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung gemäß § 159 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches selbstständig zu beurteilen.

Worum ging es?

Im vorliegenden Fall wurde der alleinige Geschäftsführer des Unternehmens zusammen mit anderen Personen rechtskräftig wegen der Begehung einer strafbaren Handlung bzgl. Steuerhinterziehung verurteilt, was er dadurch begangen hatte, dass er wissentlich das fiktive Funktionieren des Unternehmens, in dem er als Geschäftsführer tätig war, ermöglichte; infolgedessen zog er einen übermäßigen Mehrwertsteuerabzug aus dem Staatshaushalt in Höhe von ca. 13 Mio. CZK nach sich. Anschließend wurde das Unternehmen durch Liquidation aufgelöst, wobei die Steuerverwaltung keine Geldmittel aus dem Liquidationssaldo erhielt. Die Steuerverwaltung wandte sich daher mit einer gemäß der Abgabenordnung erlassenen Bürgschaftsaufforderung an den Alleingeschäftsführer und forderte ihn auf, die Zahlungsrückstände des Unternehmens zu begleichen.

Das NSS-Gericht bestätigte das Vorgehen der Steuerverwaltung:

  • gemäß § 171 Abs. 1 der Abgabenordnung ist auch der Bürge dann zur Begleichung der Rückstände verpflichtet, wenn das Gesetz ihm eine Bürgschaftspflicht auferlegt (und die Steuerverwaltung ihn zur Begleichung der Rückstände auffordert);
  • bei diesem Gesetz kann es sich auch um eine privatrechtliche Vorschrift handeln - hier richtet sich die materielle Rechtsgrundlage der Bürgschaftsverpflichtung nach 159 Abs. 3 BGB, der nicht nur den Umfang der Bürgschaft, sondern auch die Voraussetzungen für ihre Entstehung und Erlöschung (z.B. auch durch Zahlung des verursachten Schadens/-ersatzes) festlegt;

 

  • nach dieser Bestimmung haften Mitglieder gewählter Organe gegenüber den Gläubigern für die Schulden der juristischen Person für den Schaden, den sie bei der Ausübung ihrer Funktion durch die Verletzung ihrer Pflichten - ihre Funktion mit erforderlicher Loyalität und erforderlicher Sachkenntnis und Sorgfalt auszuüben - verursacht haben, und zwar in dem Umfang, in dem sie dem Rechtsträger den Schaden nicht ersetzt haben und wenn die Bürgen gegenüber dem Rechtsträger selbst keine Leistung erwirken können;

 

  • die Erfüllung der gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen - d.h. die Verletzung der Pflicht zum sorgfältigen Wirtschaftsführungshandeln, der Schadenseintritt, aber auch die Dauer der Schadensersatzpflicht - ist durch die Steuerverwaltung nachzuweisen;

 

  • Das NSS-Gericht bestätigte jedoch den Einwand, dass der Bürge Einspruch wegen die Verjährung seiner Bürgschaftsverpflichtung einlegen kann, jedoch mit der Maßgabe, dass der Einwand bzgl. der Verjährung in Ausnahmefällen gegen die guten Sitten oder einen Rechtsmissbrauch verstoßen kann, und in einem solchen Fall wird es nicht berücksichtigt. Die Überprüfung, ob der Verjährungseinwand vom Geschäftsführer wirksam geltend gemacht wurde, obliegt der Berufungsbehörde, an die die Angelegenheit zur weiteren Bearbeitung zurückverwiesen wurde.

Hervorzuheben ist, dass Voraussetzung für die Haftungsentstehung nicht die Begehung einer Straftat ist.
Die Tatsache, dass der Bürge als Organ einer juristischen Person rechtskräftig wegen einer Steuerstraftat verurteilt wurde, hatte lediglich Auswirkungen auf die Beurteilung der Frist für die Erlassung der Aufforderung.
Eine Bürgschaftsaufforderung kann grundsätzlich nur innerhalb der Steuerfestsetzungsfrist erfolgen, im vorliegenden Fall steht der Entstehung der Bürgschaft jedoch auch der Ablauf dieser Ausschlussfrist nicht entgegen, denn es findet § 148 Abs. 6 der Abgabenordnung Anwendung und die Aufforderung kann daher bis zum Ende des zweiten Jahres nach dem Jahr erfolgen, in dem das gerichtliche Urteil über die Begehung einer Steuerstraftat rechtskräftig geworden ist. Nach den Schlussfolgerungen des NSS-Gerichts ist die Steuerverwaltung jedoch berechtigt, das Entstehen einer Haftung im Falle jedweder Verletzung bei der Ausübung der Funktion eines Mitglieds eines gewählten Organs - die in einer Verletzung der Pflicht zum sorgfältigen Wirtschaftsführungshandeln besteht - unabhängig zu beurteilen.

Übereinstimmende Rechtsmeinung des Obersten Gerichts

Es sollte hinzugefügt werden, dass das NSS-Gericht mit seinem Urteil an das jüngste Urteil des Obersten Gerichts (NS) vom 27. 3. 2024, AZ. 27 Cdo 1993/2023-454, anknüpfte, in dem das NS-Gericht zu dem Schluss kam, dass in Fällen, in denen die Steuerverwaltung der Ansicht ist, dass ein Mitglied des gewählten Organs einer juristischen Person für eine öffentlich-rechtliche Schuld der Gesellschaft in Form von Steuerrückständen haftet (im vorliegenden Fall handelte es sich um ein vom Zollamt auferlegtes Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit im Bereich des Glücksspiels), und eine solche Schuld als gesetzliche Sicherheit von ihm eintreiben will, muss er gemäß § 171 der Abgabenordnung verfahren und ihn zur Begleichung der Rückstände auffordern. Diese Aufforderung hat den Charakter einer Entscheidung, die gemäß der Abgabenordnung ein vollstreckbarer Titel ist.

Nach der Ansicht des Obersten Gerichts ist die Steuerverwaltung zugleich berechtigt, die Frage - ob gesetzlich vorgesehene objektive Voraussetzungen für die Haftungsentstehung/-begründung vorliegen (insbesondere ob die Haftung lt. § 159 Abs. 3 BGB auch für Schulden mit dem Charakter der Steuerrückstände gilt, ob die Pflicht zum sorgfältigen Wirtschaftsführungshandeln verletzt wurde und ob dem Unternehmen im ursächlichen Zusammenhang mit diesem Verstoß ein Schaden entstanden ist) - gemäß § 99 der Abgabenordnung als eine Vorfrage zu beurteilen.

Abschluss

Es lässt sich daher zusammenfassen, dass das NSS-Gericht mit diesem Urteil - womit die Regeln für das Verfahren der Steuerverwaltung bei der Entscheidung über die Bürge-Pflicht eines Mitglieds des gewählten Organs einer juristischen Person für ihre Steuerrückstände formuliert wurden - weitere negative Auswirkungen bezüglich der Verletzung der Pflicht zum sorgfältigen Wirtschaftsführungshandeln vorsah.