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Lenka Kočerová | | January 30, 2024

NSS-Gericht: Kann die Polizei dem Finanzamt auf dessen Verlangen Fahrzeugbewegungsaufzeichnungen für Steuerverwaltungszwecke übergeben?

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Wir möchten Sie über ein interessantes Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts (NSS) AZ. 9 Afs 147/2020 – 87 vom 14. Dezember 2023 informieren.

Im vorliegenden Fall reichte der Beschwerdeführer eine zusätzliche Steuererklärung für das 4. Quartal 2015 ein, in der er die Kosten für den Erwerb eines Fahrzeugs für die Zwecke seines Unternehmens geltend machte und einen Steuerbeleg mit dem Datum der steuerpflichtigen Leistungserbringung vom 15. Juli 2015 beifügte. Auf Aufforderung der Steuerverwaltung betr. Zweifelsbeseitigung legte der Antragsteller ein Fahrtenbuch vor. Die Steuerverwaltung stellte fest, dass das Fahrtenbuch des Beschwerdeführers am 07.07.2015 beginnt,   nach Angaben des Verkäufers, den die Steuerverwaltung um Auskunft gebeten hat, wurde das Fahrzeug jedoch erst am 17.07.2015 physisch übergeben.

Die Steuerverwaltung richtete daher eine Anfrage an die Polizei der Tschechischen Republik lt. § 57 Abs. 1 Buchst. d) der Abgabenordnung, in der sie die Bereitstellung von Informationen über die Bewegung des Fahrzeugs beantragte, konkret verlangte die Steuerbehörde Folgendes: „Informationen über den Verkehr des Kfz-Kennzeichens […] im Zeitraum vom 01.07.2015 – 31.03.2016 auf ausgewählten Landstraßen, insbesondere: Autobahn D8, Ein- und Ausfahrten anderer Autobahnen in der Nähe der Stadt Prag“.
Als Reaktion auf die Anfrage übermittelte die Polizei dem Finanzamt eine Tabelle mit Fahrzeug-Bewegungsaufzeichnungen mit Informationen über die Fahrt an einzelnen Tagen und Uhrzeiten
im erforderlichen Zeitraum unter einzelnen Kameras auf einem ausgewählten Straßenabschnitt in Prag und in der Umgebung.

Das Kassationsgericht verhandelte den Fall zum zweiten Mal, wobei es die Kassationsbeschwerde zunächst abwies.[1] Das NSS räumte ursprünglich dem Finanzamt das Recht ein, von der Polizei der Tschechischen Republik Aufzeichnungen aus dem sogenannten Automatischen Fahrzeugkontrollsystem für Zwecke der Steuerverwaltung anzufordern. Dieses Urteil, für das das NSS-Gericht unter anderem die Anti-Auszeichnung „Amtlicher Schnüffler[2]“ erhielt, wurde jedoch im vergangenen März vom Verfassungsgericht aufgehoben.[3]
Der Grund lag darin, dass sich das NSS-Gericht nicht mit der Frage befasste, ob die Polizei befugt war,
die zuvor erworbenen Kameraaufzeichnungen auf Antrag der Steuerverwaltung zu verarbeiten, d.h.
die Kameraaufzeichnungen in die von der Steuerverwaltung geforderte und griffbereite Form zu bringen und die solchermaßen verarbeiteten Daten an Steuerverwaltung zum Zweck des Steuerverfahrens weiterzugeben. Das NSS-Gericht musste die Angelegenheit daher erneut, im Einklang mit der verbindlichen Rechtsauffassung
des Verfassungsgerichts beurteilen[4]. Diesmal hielt es die Kassationsbeschwerde jedoch für berechtigt.

Zu Beginn stellte das NSS fest, dass es zwischen der tatsächlichen Erfassung von Kameraaufzeichnungen selbst durch die Polizei der Tschechischen Republik und der anschließenden Weitergabe von Informationen daraus an die Steuerverwaltung unterschieden werden müsse:​

  • Für die Bereitstellung der Daten ist in diesem Fall nicht relevant § 60 Abs. 1 des Polizeigesetzes,
    da es die interne Verarbeitung von Informationen und Daten für eigene Zwecke der Polizei der Tschechischen Republik regelt.
  • die Bereitstellung und Verarbeitung personenbezogener Daten und Informationen nach außen
    an andere Stellen der öffentlichen Verwaltung wird in § 78 des Polizeigesetzes geregelt.
  • Die Möglichkeit der Steuerverwaltung, von der Polizei der Tschechischen Republik Kameraaufzeichnungen der Bewegung des Fahrzeugs aus Sicht der Steuerverwaltung anzufordern, wird dann in § 57 Abs. 1 Buchst. d) der Abgabenordnung geregelt.

Beide relevante Bestimmungen (§ 78 des Polizeigesetzes und § 57 Abs. 1 Buchst. d) der Abgabenordnung), auf deren Grundlage die Daten von der Polizei der Tschechischen Republik verarbeitet und an die Steuerverwaltung übermittelt werden könnten, haben jedoch die gemeinsame Voraussetzung, dass die Daten für die Steuerverwaltung erforderlich sind.

Da die Bereitstellung von Daten selbst möglicherweise einen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, ist es auch erforderlich, sich mit der Prüfung bzgl. Verhältnismäßigkeit zu befassen, d.h. zu beurteilen, ob die Bereitstellung von Daten:

  • geeignet (tauglich) war, um das Ziel der Steuerverwaltung zu erfüllen
    (richtige Steuerfeststellung und -ermittlung)
  • notwendig zur Erreichung dieses Ziels war (d.h. es gibt kein milderes Mittel),
  • und wenn ja, in diesem Fall die Angemessenheit im engeren Sinne des Wortes beurteilen
    (die Schwere des Rechtseingriffs gegen das Ziel der Steuerverwaltung abwägen).

Das NSS-Gericht erklärte in Bezug auf den Schlüsselgrundsatz bzgl. Beweislast im Steuerverfahren,
bei dem sich der Steuerverwalter auf die Behauptungen und Beweise des Steuersubjekts stützt und es nicht in erster Linie der Steuerverwalter ist, der aus eigener Initiative den Sachverhalt und die materielle Wahrheit feststellt, in dieser Angelegenheit Folgendes:

  • Im Verfahren vor dem Finanzamt legte der Beschwerdeführer vor allem ein Fahrtenbuch zum Nachweis der wirtschaftlichen Nutzung des erworbenen Fahrzeugs vor.

 

  • Aus der bisherigen NSS-Judikatur ist klar, dass das Fahrtenbuch auch ohne Gegenüberstellung mit polizeilichen Kameraaufzeichnungen in Frage gestellt werden kann, beispielsweise aufgrund anderer verfügbarer Informationen im Steuerverfahren oder wegen interner Widersprüche oder Allgemeingültigkeit des Fahrtenbuchs.

 

  • Wenn das Fahrtenbuch auf eine andere, weniger eingreifende Weise angefochten werden kann,
    die keine Übermittlung von Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, erfordert,
    ist die Verwendung von Kameraaufzeichnungen nicht erforderlich.

 

  • Der Einsatz von Kameraaufzeichnungen könnte zwar sinnvoll sein, ist aber nicht erforderlich:
    „Die Notwendigkeit als höherer Schutzstandard soll gewährleisten, dass in die Rechte der Betroffenen nur dann eingegriffen wird, wenn keine andere Möglichkeit bzgl. Beschaffung von Informationen, dabei kann es sich auch um personenbezogene Daten handeln, besteht.“

 

  • Es war somit möglich, die im Fahrtenbuch erfassten Daten auf andere Weise zu hinterfragen und
    es dem Beschwerdeführer zu überlassen, die Zweifel der Steuerverwaltung eventuell auszuräumen. Immerhin hatte die Steuerverwaltung gewisse Zweifel (Anzeichen) an dem Fahrtenbuch, der Beschwerdeführer selbst räumte auch ein, dass das Fahrtenbuch ungenau sei, und schrieb es zurück.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Steuerverwaltung im vorliegenden Fall nicht berechtigt war, die Aufzeichnungen von der Polizei der Tschechischen Republik anzufordern und sie als Beweismittel im Steuerverfahren zu verwenden, da es sich nicht um für die Steuerverwaltung notwendige Daten handelte. Die Richtigkeit der im eingereichten Fahrtenbuch erfassten Daten könnte von der Steuerverwaltung auf andere, weniger eingreifende Weise überprüft und gegebenenfalls angefochten werden. Die Aufzeichnungen der Polizei der Tschechischen Republik wurden unrechtmäßigerweise beschafft. Es obliegt daher den Finanz-/Steuerbehörden, den Anspruch des Beschwerdeführers auf Steuerabzug neu zu beurteilen und die Nutzung des Fahrzeugs des Beschwerdeführers für seine wirtschaftliche Tätigkeit eventuell auf andere Weise anzufechten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Test betr. Notwendigkeit nicht erfüllt war; das NSS-Gericht befasste sich nicht mehr mit der Frage der Verhältnismäßigkeit bzgl. Ermächtigung, Kameraaufzeichnungen von Fahrzeugbewegungen anzufordern und herauszugeben, mit den verfassungsmäßigen Rechten des Beschwerdeführers auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 10 Abs. 2 und 3 der Urkunde, also Angemessenheit im engeren Sinne des Wortes.

[1] NSS-Urteil vom 21. 7. 2022, AZ. 9 Afs 147/2020-34.

[2] Bei den Big Brother Awards (bekannt auch als „Wettbewerb um den größten Schnüffler“) handelt es sich um einen Wettbewerb, bei dem die Subjekte ausgewählt werden, die die Privatsphäre von Menschen
am meisten verletzt haben. In der Tschechischen Republik wird der Wettbewerb von der Bürgervereinigung Iuridicum Remedium (IuRe) organisiert.

[3] Erkenntnis des Verfassungsgerichts vom 14. 2. 2023, AZ. IV. ÚS 2621/22.

[4] „Das Oberverwaltungsgericht wird sich daher mit der Frage befassen müssen, ob die in § 60 Abs. 1 des  Polizeigesetzes gegebene gesetzliche Ermächtigung der Polizei wirklich die Weitergabe von Aufzeichnungen an andere Stellen der öffentlichen Verwaltung erlaubt (ob die Regelung der Informationspflicht lt. § 57 des Gesetzes Nr. 280/2009 Slg., Abgabenordnung – s. Pkt. 14. Begründung des angefochtenen Urteils, ausreichend ist) . Kommt man zu dem Ergebnis, dass die Polizei auf diese Weise vorgehen kann, ist zu prüfen, ob eine solche Ermächtigung nicht mit einigen verfassungsrechtlich garantierten Rechten, insbesondere dem Recht auf Privatsphäre und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 10 Abs. 2 und 3 der Urkunde, kollidiert“. (Erkenntnis des Verfassungsgerichts vom 14. 2. 2023, AZ. IV. ÚS 2621/22, Pkt 20).