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Sexuelle Orientierung als Grund für Vertragsverweigerung für Selbständige (OSVČ)

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Polen rangiert regelmäßig auf den letzten Plätzen der Rangliste für Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten[1]; in- und ausländische Unterstützer der LGBT-Gemeinschaft stellen regelmäßig die Tendenzen nicht nur polnischer Politiker in diesem Bereich in Frage. Zum Beispiel sogar in dem Fall, in dem der polnische Justizminister die Aufhebung aller früheren Verurteilungen gegen einen Druckerangestellten forderte, der sich weigerte, Dienstleistungen für einen LGBT-Kunden zu erbringen[2].

Einer von denen, die sich kürzlich entschieden haben, sich gegen Ungerechtigkeit zu stellen und Hassreden mit rechtlichen Mitteln zu lösen, ist auch ein Schöpfer von Videos, audiovisuellen Clips und Werbetrailern für das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen. Der Kläger hat als Selbständiger ("OSVČ") das Fernsehen etwa sieben Jahre lang mit redaktionellen Editor-Dienstleistungen beliefert, bis diese Zusammenarbeit von der beklagten Gesellschaft einseitig beendet wurde. Zufälligerweise tat dies das beklagte Unternehmen zwei Tage, nachdem der Kläger und sein Partner ein weihnachtliches Musikvideo „Pokochaj nas w święta“ („Liebe uns zu Weihnachten“) auf YouTube gepostet hatten. Das Video[3] zeigt Weihnachtsfeiern gleichgeschlechtlicher Paare mit dem Ziel, die Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten zu unterstützen. Der Kläger bezeichnet gerade die Veröffentlichung des genannten Videos als Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit und das Ausbleiben weiterer Werkverträge seitens des beklagten Unternehmens und fühlt sich unmittelbar diskriminiert bei der Ausübung der Erwerbstätigkeit aufgrund seiner sexuellen Orientierung.

Das beklagte Unternehmen argumentierte, dass das polnische Recht in keiner Weise die Rechte von Selbständigen auf Schutz vor Vertragsbeendigung oder Nichtabschluss eines Vertrages gewährleiste, auf dessen Grundlage der Selbständige seine Dienstleistungen erbringen solle. Da es sich nicht um einen Arbeitsvertrag handele, verwies das Unternehmen auf die Anforderung des Klägers auf Ersatz eines Schadensersatzes und immateriellen Schadens in Höhe von 47 924,92 polnischen Zloty (ca. 237 530 CZK) als gegenstandslos. Nach Erachten des Unternehmens stellt dies ein normales Geschäftsrisiko dar, wenn man als Kunde kein Interesse mehr an den Leistungen des Selbständigen habe.

Im Rahmen des Rechtsstreits wandte sich das Warschauer Landgericht an den Gerichtshof der Europäischen Union, der am 12. Januar dieses Jahres über diese vorgelegte Vorfrage entschied. Die Frage betraf die Beurteilung, ob eine unabhängige wirtschaftliche Tätigkeit eines Selbstständigen unter den Begriff „selbstständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf[4]  („Richtlinie“) fällt. Wenn die Tätigkeit der Selbstständigen diesem Begriff nicht untergeordnet werden könnte, würde die Richtlinie dann nicht ihre nützliche Wirkung verlieren? 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat eindeutig entschieden. Die sexuelle Orientierung kann kein Grund sein, den Vertragsabschluss oder die -verlängerung mit einem Selbstständigen abzulehnen. Die Beendigung einer dauerhaften Zusammenarbeit, die eindeutig durch die sexuelle Orientierung des Selbständigen begründet ist, ist unzulässig. Die Generalanwältin führte in ihrer Stellungnahme Folgendes aus „[…] die Freiheit der Wahl einer Vertragspartei kann legitim zum Schutz anderer wichtiger Werte in einer demokratischen Gesellschaft, wie etwa der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, eingeschränkt werden. Die Richtlinie garantiert diesen Wert ausdrücklich, ohne den Wesensgehalt der freien Wahl einer Vertragspartei zu beeinträchtigen. Konkret können Wirtschaftsakteure auch weiterhin eine für die Arbeit am besten geeignete Person aus den für die Arbeitstätigkeit relevanten Gründen[5] auswählen“.

Die Behauptung des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens über Vertragsfreiheit ist daher irrelevant, und die Vertragsfreiheit hat in einem Rechtsstaat Grenzen – sie wird durch den Schutz anderer wichtiger Werte begrenzt.

Ziel der Richtlinie ist der Schutz vor Diskriminierung beim Zugang zu jeglicher Arbeit, mit der eine Person ihren Lebensunterhalt verdient. Bei einer solchen Auffassung vom Zweck der Richtlinie gibt es keinen Grund, Selbständige von ihrem Geltungsbereich auszuschließen. Gemäß der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind daher Selbstständige in gleicher Weise wie Arbeitnehmer geschützt und haben Anspruch auf Schutz vor diskriminierendem Verhalten, das beim Zugang zu ihrer Arbeit oder während derer Ausübung aufgetreten ist.

[1] Vergl. z.B. TILLES, D.: „Poland ranked as worst country in EU for LGBT people“, erreichbar online hier: https://notesfrompoland.com/2020/05/14/poland-ranked-as-worst-country-in-eu-for-lgbt-people/.

[2] RPO, Sprawa drukarza z Łodzi [The printer from the Lodz case] (14 June 2018) https://www.rpo.gov.pl/pl/postepowania-strategiczne-rpo/sprawadrukarza-z-lodzi, accessed 28 July 2018.

[3] JAKUB & DAWID – POKOCHAJ NAS W ŚWIĘTA, YouTube, erreichbar online hier: https://www.youtube.com/watch?v=b7fpUj9zxfs

[4] Richtlinie 2000/78, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) und c) gewährleistend den Schutz vor Diskriminierung insbesondere aufgrund der sexuellen Orientierung, in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu Beschäftigung, selbständige Erwerbstätigkeit oder Beruf, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, sowie Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen.

[5] Generalanwältin T. Ćapeta: Sexuelle Orientierung kann kein Grund dafür sein, den Abschluss eines Vertrages mit einem Selbstständigen abzulehnen (europa.eu), online verfügbar hier: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-09/cp220145cs.pdf

Autor: Veronika Odrobinová, Gabriela Jandová