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Lenka Kočerová | | November 21, 2023

Voraussetzungen für die Durchführung einer erneuten Steuerprüfung, wenn die vorangegangene örtliche Untersuchung bereits den Charakter einer Steuerprüfung hatte

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Wir möchten Sie über das interessante Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts (NSS) AZ. 2 Afs 170/2023 – 30 vom 24. Oktober 2023 informieren.

Darin ging das NSS-Gericht auf die Frage ein, ob Voraussetzungen für die Durchführung einer Steuerprüfung, der eine umfangreiche Suchtätigkeit des Steuerverwalters vorausgegangen war, erfüllt wären. Mit der Situation, in der die Suchtätigkeit der Steuerverwaltung ihre Grenzen überschreitet, wobei es sich tatsächlich um eine Steuerprüfung handelt, und welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen eine solche Absicht haben kann, haben wir uns in unserem Artikel vom 17. Mai 2022 befasst, siehe den folgenden Hinweis.[1]

Im vorliegenden Fall führte der Steuerverwalter eine umfangreiche Suchtätigkeit durch, in deren Rahmen er Sachverhalte im Zusammenhang mit im Jahr 2012 ausgegebenen Kronenschuldverschreibungen untersuchte. Anschließend leitete er im Jahr 2021 eine Steuerprüfung für die Körperschaftsteuer für den Steuerzeitraum von 1. 1. 2014 bis 31. 12. 2015 ein, in dem auf die Überprüfung von Transaktionen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Kronenschuldverschreibungen und auf die Überprüfung von Transaktionen im Zusammenhang mit dem Kauf eines Geschäftsanteils beschränkten Umfang. Von Beginn der Prüfung an beanstandete das Steuersubjekt, dass es sich im Rahmen der Prüfung von Transaktionen im Zusammenhang mit der Emission von Schuldverschreibungen faktisch um eine wiederholte und daher rechtswidrige Steuerprüfung handele.
Da die Steuerverwaltung davon ausging, dass es sich nicht um eine wiederholte Steuerprüfung handelte, enthielt das Protokoll über die Einleitung der Prüfung keine Gründe, die die Möglichkeit einer wiederholten Steuerprüfung gemäß § 85a Abs. 2 der Abgabenordnung rechtfertigen würden.

Im vorliegenden Fall hat das Stadtgericht in Prag dem Steuersubjekt zugestimmt, dass die Steuerverwaltung im Rahmen von mit der Ausgabe von Schuldverschreibungen zusammenhängenden Transaktionen eine wiederholte Steuerprüfung durchführt. Die von der Steuerverwaltung im Jahr 2017 durchgeführte örtliche Untersuchung überschritt die Grenzen der Suchtätigkeit und war eine verdeckte Steuerkontrolle. Unter Berücksichtigung des Zeitabstands zwischen dem Abschluss der mit der örtlichen Untersuchung verbundenen Suchtätigkeit und der anschließend förmlich eingeleiteten Steuerprüfung handelt es sich um eine wiederholte Steuerprüfung. Nach Auffassung des Stadtgerichts lagen jedoch die rechtlichen Voraussetzungen für deren Wiederholung vor. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hat das Stadtgericht Urkunden aus dem durchsuchbaren (nichtöffentlichen) Teil der Akte, darunter auch Informationen des Finanzanalyseamtes (FAU) vom 9. 7. 2019 als Beweismittel vorgelegt; auf dieser Grundlage gelangte es zu dem Schluss, dass die Steuerverwaltung vom FAU-Amt neue Tatsachen entdeckt habe, die geeignet seien, Zweifel gemäß § 85a Abs. 1 Buchst. a) der Abgabenordnung zu begründen. Nach Ansicht des Stadtgerichts handelte es sich bei der wiederholten Steuerkontrolle daher nicht um einen rechtswidrigen Eingriff.

Das NSS-Gericht stimmte dieser Schlussfolgerung des Stadtgerichts jedoch nicht zu. Zunächst bestätigte es, dass sich die Rechtsprechung zur Frage der Suchtätigkeit, die tatsächlich den Charakter einer Steuerprüfung habe, schrittweise weiterentwickelt habe, und bezog sich dabei auf das Urteil von 6. 2. 2023, AZ. 5 Afs 287/2021-32, wobei  das NSS-Gericht darin den Zweck dieser judikatorischen Schlussfolgerungen prägnant wie folgt erläuterte:

„Die zitierte Rechtsprechung wurde ursprünglich in erster Linie geschaffen, um die Rechte der Steuersubjekte vor den Handlungen der Steuerverwaltung zu schützen, die tatsächlich eine Steuerprüfung unter dem Deckmantel einer örtlichen Untersuchung durchführen würde, wobei dem geprüften Steuersubjekt jedoch nicht der Schutz seiner Rechte gewährt wird, den das Gesetz mit einer förmlich eingeleiteten Steuerprüfung verbindet, oder wenn die Steuerverwaltung die gesetzlichen Bestimmungen zur Steuerkontrolle umgehen würde, indem sie die Steuer direkt auf der Grundlage einer örtlichen Untersuchung festsetzt (siehe Urteile des Obersten Verwaltungsgerichts vom 27. 7. 2005, AZ. 1 Afs 70/2004-80, und vom 26. 4. 2006, AZ. 1 Afs 60/2005-130). Gleichzeitig sollen die Schlussfolgerungen des Obersten Verwaltungsgerichts, insbesondere im letztgenannten Fall, zweifellos auch vor einem solchen Vorgehen der Steuerverwaltung schützen, das bereits durch die Handlung - formal als örtliche Untersuchung deklariert, faktisch aber mit ihrem der Steuerkontrolle entsprechenden Charakter – zwar nicht unmittelbar zu einer von der abgegebenen Steuererklärung bzw. deren Bemessung abweichenden Steuerbemessung erlangte, würde sie allerdings anschließend zur Prüfung desselben Sachverhalts in Form einer Steuerprüfung zurückkehren, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung einer erneuten Steuerprüfung erfüllt wären.“

Obwohl es für den Steuerverwalter überraschend sein könnte, dass es sich bei der formal ersten Steuerprüfung in Wirklichkeit um eine wiederholte Steuerprüfung handelt - denn zu dem Zeitpunkt, als er mit der Prüfung begann, war die Rechtsprechung zu diesem Thema noch nicht vollständig geklärt - liegt das Grundproblem im rechtswidrigen Verhalten des Steuerverwalters selbst. Gemäß dem Grundsatz nemo turpitudinem suam allegare potest kann niemand von seiner eigenen Unehrlichkeit, bzw. im weiteren Sinne von seinem eigenen Fehlverhalten profitieren. Der Steuerverwalter hat einen Fehler begangen, wenn er dem Steuersubjekt keine Gründe für die Einleitung einer erneuten Steuerprüfung gemäß § 85a Abs. 2 der Abgabenordnung mitgeteilt hat; infolgedessen wurde die wiederholte Steuerprüfung rechtswidrig eingeleitet.

Im Punkt [22] des betreffenden NSS-Urteils wurde festgestellt, dass die Pflicht der Steuerverwaltung, das Steuersubjekt über die Gründe für die wiederholte Steuerprüfung zu informieren, nicht als bloße formelle Anforderung angesehen werden kann, deren Fehlen die Rechte des Steuersubjekts nicht beeinträchtigen könnte, denn die Mitteilung der Gründe für die erneute Steuerprüfung bereits zu Beginn der Steuerprüfung:

  • ermöglicht es dem Steuerpflichtigen zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für eine Wiederholung der Kontrolle erfüllt sind, bzw. dass er sich gegen die Durchführung einer wiederholten Kontrolle vor Gericht wehren kann (daher muss der Steuerpflichtige über alle erforderlichen Informationen bevor Einreichung einer Klage gegen rechtswidrige Eingriffe verfügen; er kann nicht gezwungen sein, eine Klage „blind“ einzureichen);
  • ermöglicht es dem Steuersubjekt, den weiteren Verlauf des Steuerprüfungs- und Veranlagungsverfahrens im Hinblick darauf zu überwachen, ob von dem zulässigen Rahmen der Wiederholung der Steuerprüfung (nicht) abgewichen wird;
  • gewährleistet die Transparenz der wiederholten Steuerprüfung, da sie beweist, dass der Steuerverwalter Kenntnis von bestimmten neuen Tatsachen vor Beginn der wiederholten Steuerprüfung hatte, und verhindert andererseits die Erweiterung des Spektrums neuer Tatsachen nach Beginn der Steuerprüfung, was für den Ablauf der Steuerprüfung sowie für den Umfang der Prüfungsfeststellungen von wesentlicher Bedeutung ist.

NSS befasste sich auch mit den eigentlichen Gründen für die Durchführung einer wiederholten Steuerprüfung, die das Stadtgericht im angefochtenen Urteil anführte. Nach Angaben des FAU-Amts ging es um Zweifel an der Herkunft und Besteuerung der Finanzmittel eines Zeichners von Kronenschuldverschreibungen in den Jahren 2018 und 2019. Das NSS kam zu dem Schluss, dass zwischen diesen Tatsachen und dem geprüften Steuerzeitraum kein Zusammenhang besteht. Das NSS-Gericht stellte fest, dass der Zusammenhang neuer Tatsachen mit dem geprüften Steuerzeitraum und den konkreten Transaktionen nicht bloß hypothetisch sein darf, sondern insoweit nachgewiesen sein muss, damit begründete Zweifel an der Richtigkeit, Beweiskraft oder Vollständigkeit der bisher ermittelten Steuer bzw. der Erklärung des Steuersubjekts/-pflichtigen begründet. Im vorliegenden Fall lagen jedoch keine Unterlagen in der Akte vor, die diesen Zusammenhang beweisen und belegen könnten, und die Steuerverwaltung hat diesen Sachverhalt im Gerichtsverfahren auch nicht näher dargelegt.​

Das NSS-Gericht kam daher insgesamt zu dem Schluss, dass die Steuerverwaltung im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen hat, dass die Voraussetzungen für die Möglichkeit der Einleitung einer erneuten Steuerprüfung gemäß § 85a Abs. 1 Buchst. a) der Abgabenordnung erfüllt sind.

[1] Der Vollständigkeit halber fügen wir im Zusammenhang mit dem am 17. Mai 2022 veröffentlichten Artikel das Ergebnis des Gerichtsverfahrens unseres Mandanten hinzu, bei dem das NSS-Gericht in diesem Fall den Zeitabstand zwischen der letzten Handlung der Steuerverwaltung und dem Beginn der Steuerprüfung in Dauer von ca. 3-5 Monaten nicht als ausreichend dafür gefunden hat, um von einer rechtswidrigen wiederholten Steuerkontrolle zu sprechen.